Disclaimer: Die in dieser Reportage geschilderten Handlungen und Tatsachen beruhen auf den Erinnerungen eines einzelnen Teilnehmers des Boßel-Turniers. Sie können entweder wahr oder falsch sein. Ähnlichkeiten zu real existierenden Personen können auftreten. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden Namen handelnder Akteure verfremdet.
Es gibt Situationen im Leben, da muss man schnell handeln: bei der Geburt eines Kindes oder wenn man von einem Wildschwein im Wald verfolgt wird. So auch, wenn man eine drei Kilometer lange Strecke mit einem Bollerwagen laufen möchte, aber ein Reifen platzt.
Es ist Samstag, der 22. April 2023, 14 Uhr. Bereits 15 Mannschaften sind auf der Boßel-Strecke unterwegs. Kurz bevor Spielleiter Frank Wübker das Team U.D.W.S. Eggetal ausrufen möchte, knallt es auf dem Vorplatz des Sportlerheims. Stille. Dann Gelächter, sogar Applaus. Die Blicke des Teams gehen Richtung Vorderreifen. Völlig zerfetzt. Der Bollerwagen neigt sich. Die Flaschen Bier drohen vom Bollerwagen zu rutschen und auf dem Asphalt zu zerschellen. Durch ein beherztes Eingreifen der Teammitglieder und eines anschließenden Schluckes aus der Flasche kann diese Katastrophe abgewendet werden. Die ohnehin größere Frage ist aber: Wie soll das Team jetzt Boßeln, wenn der Bollerwagen einen Platten hat? Ohne Bollerwagen? Auf gar keinen Fall, die Gefahr zu verdursten wäre zu groß. Mit einem Platten fahren? Schwierig. Im Gegensatz zu vielen anderen Teams haben die Jungs von U.D.W.S. einen Monster-Bollerwagen, der etwa 150 Kilo wiegt. Wenn der unkontrolliert ins Rollen kommt, nimmt er alles und Jeden mit, der im Weg steht. Und Berg hoch mit plattem Reifen bei sommerlichen 22 Grad? Ließe zwar die körperliche Verfassung aller Teammitglieder zu: Sie sind alle jung, dynamisch und durchtrainiert, aber man wolle ja nicht mit der Felge den Asphalt auf der Strecke aufreißen.
Also musste schnell gehandelt werden und ein neuer Reifen her. Noch völlig erschüttert von der Situation ist es keinem der Männer möglich, ein Auto zu steuern. Dankenswerterweise bietet sich ein Teammitglied der Gruppe "Jägermeister" an. Mit quietschenden Reifen geht es zu U.D.W.S.-Mitglied Sebastian Simon Bönning, der noch ein Ersatzrad hat. Es dauert nur wenige Sekunden und der neue Reifen liegt neben dem Bollerwagen. Wie in der Boxengasse tauschen Marco Fuscher und Bönning die Reifen aus. Das Team kann ohne größere Verzögerungen in den Wettbewerb starten.
Dann geht es los: Das Team U.D.W.S. ist zusammen mit den Kneipentouristen und Jägermeister unterwegs. Marco Fuscher ist der erste Werfer. Der Wind steht gut, die Kugel liegt perfekt in der Hand, Fuscher ist hochmotiviert, nimmt Anlauf und schmeißt die Kugel mit vollem Tempo die Straße entlang. Durch die Reibung zwischen Holzkugel und Asphalt kommt es zu leichtem Funkenflug. Und sie hört gar nicht auf zu rollen, der Horizont nähert sich. Die ersten Wetten werden abgeschlossen, dass die Kugel womöglich gar nicht mehr stoppt. Nur das beherzte Eingreifen einer Perserkatze bringt die Kugel zum Stillstand. Sie soll in guter Erinnerung bleiben, lässt die Mannschaft von ihren Anwälten nachträglich schriftlich mitteilen.
Auch wenn die anderen Teams ab und zu nicht so weit werfen, über weite Strecken zeichnet sich noch kein Gewinner ab. Auch bei den Männern von U.D.W.S. sitzt nicht jeder Wurf: Als Julian Schmidt in einer Steigung an der Reihe ist, wird er von der Sonne geblendet. Der Wurf geht eher nach oben als nach vorne und landet dann im hohen Bogen etwa 3,5 Meter vor Schmidt im Graben. Schmidts Kommentar: "Hätte ich doch noch einen der Gegner getroffen, hätte es sich wenigstens gelohnt." Apropos Treffer: Dass so eine Boßel-Kugel echt gefährlich sein kann, kann der Knöchel einer Teilnehmerin in einem anderen Team bezeugen. Aber ein so schlechter Wurf wie von Schmidt bleibt die Ausnahme. Viele fantastische Würfe wie von Jonah Hill, Marcel Henkitank, Janik Stegelmeyer, Matthias Lindenhof oder Jessco Hinrichs sollen folgen. Da der Kontakt zu anderen Teams erst wieder im Ziel möglich ist, kann niemand sagen, wie erfolgreich U.D.W.S ist.
19 Uhr. Siegerehrung. Schon? Ja. Auch die Kegeltruppe U.D.W.S. hat die letzte Boßelkugel in den Fuhrpark roter Autos gefeuert. Was bleibt? Noch ein platter Reifen. Kann das Zufall sein? Die Ermittlungen wegen möglicher Sabotage dauern an. Es war wieder ein lauter Knall. Stille. Dann Gelächter, sogar Applaus. Déjà-vu. Aber diesmal wurde keine Rücksicht mehr auf den Straßenbelag genommen. Die Felge kratzte über den Asphalt. Es hörte sich an, wie wenn man mit einem Fingernagel über eine Tafel kratzt oder einen Song von Dieter Bohlen hören muss. Egal. Irgendwie musste das Team mit Bollerwagen ja ins Ziel.
Und jetzt stehen sie da inmitten von den anderen Boßelteams, haben keine Ahnung was passiert. Frank Wübker gibt die Platzierungen bekannt. Die Eggetaler Landfrauen landen auf Platz 21: Beste Platzierung aller Zeiten. Lästerschwestern, teilgenommen, Platz 20. Team Überfordert: Name ist Programm, Platz 18. Perserkatzen, Platz 18: Eine ist nichts ins Ziel gekommen. Ponyexpress auf Platz 17: Haben sich verschummelt. Auf Platz 16 das Team Jägermeister, nur halt ohne Meister zu sein. Dynamo Tresen landet auf Platz 14: Wieso? Weiß keiner. Heimatverein Eggetal ebenfalls. Die Azubis, Platz 13: Gut, sind ja auch noch in der Ausbildung. Drunkin' Donuts Nr. 11: Waren wohl einfach zu "drunk", wie die Jugend sagt. Die Blockwürstchen auch auf Platz 11: Kann passieren. WHR*09 auf Platz 10: Sie haben ja auch Rücken. SV Koppinnacken auf Platz 7: Sollten vielleicht mal den Koppausnacken nehmen. Green Beer Packers ebenfalls auf dem 7. Platz: Waren aber eher blau als grün. Baby Peach & Friends haben sich mit dem 7. Platz diesmal keine Freunde gemacht. Altliga stabil auf dem 5: Reicht auch. No Ma'Am: Und wenn mit, wären sie vielleicht auch besser, ebenfalls Platz 5. Hennes Undercover, Platz 4: Die ganze Doku gibt es ab Oktober auf Netflix. GummiBierBande ergattern sich den 2. Platz. Echt? Ja. Auch die Kneipentouristen auf Platz 2. Sollten vielleicht besser in der Kneipe bleiben.
Ähm, Moment: Bleibt ja U.D.W.S. übrig. Gibt es das denn? Sie sind also nicht nur die sympathischsten Spieler gewesen, sondern auch noch die besten. Das kann der unabhängige Autor dieses Textes ganz unvoreingenommen behaupten. Glückwunsch, ihr wart einfach krass. Und weil die Jungs so happy waren, haben sie auch allen ihren Pokal gezeigt. Das ist purer Sportsgeist. Und wer sich an die Siegesfeier nicht mehr erinnern kann oder will. Da unten findet ihr sie.
Ein Blick in die Zukunft zeigt: Historiker werden über das Boßel-Turnier am 22. April 2023 im nächsten Jahrhundert von einem epochalen Ereignis sprechen. Zu Recht.